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Treue in Zeiten des Wertewandels

Gedanken am Grabe des Nitzkydorfers Peter Konrad

von Josef Peter Schmadl *)

Peter Konrad war viele Jahre ehrenamtlich im Dienste der Nitzkydorfer tätig, sowohl in der alten Heimat Banat wie auch in Deutschland. Bereits im Jahre 1994 war er anlässlich seines 75. Geburtstages mit der Verdienstmedaille der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Silber ausgezeichnet worden. In diesem Zusammenhang erschien eine Würdigung seines Lebenswerkes bis dato auf Seite 5 der Banater Post Nr. 20 vom 20. Oktober 1994, die – überarbeitet – auch in dem von ihm mitverfassten Buch „Nitzkydorf. Chronik und Heimatbuch einer deutschen Gemeinde im Banat 1785-1992“ auf Seite 329 enthalten ist. Daran anknüpfend ist zu ergänzen, dass Peter Konrad in den Folgejahren eine schöne Zeit im Kreise seiner Familie erlebte, bis er am 17. September 2012 im Alter von fast 93 Jahren verstarb. Solange es seine Gesundheit erlaubte, blieb er, was er immer war: ein unermüdlicher Arbeiter für sozialpolitische Werte, stets bereit zu ehrenamtlichem Einsatz für die Gemeinschaft, in diesen späten Jahren zum Beispiel als Mitglied im Seniorenbeirat der Stadt München und in seiner Kirchengemeinde Maximilian Kolbe in München-Neuperlach, die ebenso Anteil nahm an seinem Tod wie wir Nitzkydorfer.  

Es war einmal…

Wäre Peter Konrad in Nitzkydorf verstorben, wo er etwa zwei Drittel seines Lebens verbrachte, so hätte er wohl dort eine noch größere  „Leicht“ gehabt. Von einer solchen können wir ehemalige Nitzkydorfer heute nur träumen:  Auf seinem letzten Weg von der Totenbahre im Hause zur Kirche und von dort, nach dem Requiem, zum Friedhof  gehen die meisten, von ihren Tagespflichten abkömmlichen Nitzkydorfer mit.  Der Dreiklang der Kirchenglocken beim Zusammenläuten hört sich an  wie ein letzter Ruf des Lebens, ein vielstimmiger Abschiedsgruß der Dorfgemeinschaft. Eigentümlich klingt danach die Mischung aus dem  hellen Ziehgleckl-Ton vom Kirchenturm und dem Trauermarsch „Auf ewig“ oder „letzter Gang“, gespielt von der Blaskapelle, deren tiefer, weithin hörbarer  Kontrabass  auch  jene zuhause aufhorchen und innehalten lässt, die nicht mitgehen können.  Der Kreuzträger vorne  ist schon am Friedhof, während die Letzten gerade aus der Kirche heraus kommen.  Dazwischen geht der schier endlose, schwarz gekleidete Zug am Gemeindehaus vorbei, durch die Kerchegass, die am südwestlichen Ortsrand gelegene Zwerchgass überquerend, in der, nur wenige Häuser entfernt, sein Elternhaus und späteres Eigenheim gestanden hat.  Das Bimmeln  aus der Friedhofskapelle empfängt den ankommenden Trauerzug wie aus jener anderen Welt herübertönend, die wir nur erahnen dürfen. Soweit noch am Leben, begleiten den Sarg  Mitglieder des Kirchenvorstandes; dessen langjähriger Sprecher er war. An seinem Grabe ertönt der Psalm 94 (vorkonziliäre Nummerierung) und refrainhaft das  „Dolores inferni - circumdederunt me“ . Der Pfarrer hält eine bewegende Rede. Kantor und Kirchenchor, dessen Mitglied er zeitlebens war, erweisen ihm mit ihrem Gesang die letzte Ehre. Zum Schluss spricht man der Familie am Grab sein Beileid aus, um danach zu seinen Tagespflichten zurückzueilen. Vielleicht bleiben einige Verwandte und Freunde noch eine Weile bei den Angehörigen am Grabe stehen. Zu ihnen möchte ich mich hier in Gedanken gesellen und zurückschauen auf die von Peter Konrad „erlebte, durchlebte und überlebte“ Zeit , wie er selbst diese nahezu ein Jahrhundert umfassende Zeitspanne in seinen Memoiren benennt, die er uns hinterlassen hat, bezeichnenderweise unter dem Titel: „Nitzkydorf – eine deutsche Gemeinde im Banat in den Fängen zweier Diktaturen von 1935 bis 1981“.  Auf einer kurzen Zeitreise durch sein langes Lebens  falle  unser Blick besonders auf den  schwindelerregenden Wertewandel, in den sich auch Peter  Konrad - in seinem persönlichen Umfeld -  zeitlebens  engagiert einmischte.


K.u.k.-Wertvorstellungen in Nitzkydorf

Sein Geburtsjahr 1919 war eine Zeitenwende. Sie hinterließ Kriegswaisen und Kriegerwitwen, ließ aber im Übrigen einigermaßen intakt, was dem Schwaben gut und teuer war. Der Bauer behielt sein „Feld“ als Existenzgrundlage, aber auch seine Wertvorstellungen, die sich wohl am besten zusammenfassen lassen mit einem dreifachen „Menschenrecht“ , nämlich dem  Recht auf Leben, dem Recht auf Freiheit und dem Recht auf Eigentum, wie angeblich bereits im 14. Jh. von Papst Clemens VI niedergeschrieben.  Diese urkatholischen Rechte blieben im Königreich Rumänien zunächst  weitestgehend unangetastet. Der Mann war das Oberhaupt der Familie und die Frau „dem Manne untertan“. Die entsprechenden Paulusworte (Eph. 5) standen damals nicht nur im Trauschein der Eheleute Konrad sen., sondern wohl in jedem Nitzkydorfer römisch-katholischen Trauschein bis in die fünfziger Jahre hinein. Die Frau ging verheirateten Standes nicht ohne Kopftuch zur Kirche und kleidete sich auch sonst sittsam und dezent. Bei der Gattenwahl hatten die Eltern ein entscheidendes Wort mitzureden. Ein Nitzkydorfer Schulbuch aus jener Zeit, nach dem Peter Konrad und wohl auch schon seine Eltern unterrichtet wurden, enthielt ein Lesestück mit dem Titel: „Eine Ohrfeige zur rechten Zeit“. Gewalt war noch kein Monopol des Staates und lag bezüglich der Kindererziehung weitestgehend in der Hand der Eltern, delegiert bei Bedarf selbstverständlicherweise an Lehrer oder sogar Nachbar, falls dessen Kirschen oder Äpfel in Gefahr waren, wie in dem erwähnten Lesestück. Gegenstand einer möglichen Fragestellung ist dabei aber nicht,  wie man heute diese Wertvorstellungen findet sondern ob die damalige Generation mit ihnen erfolgreich, vielleicht sogar glücklich lebte oder nicht.

In jene Zeit wurde Peter Konrad am 27. Oktober 1919 hineingeboren. Er erlebte eine glückliche Kindheit in einer ihm heil erscheinenden Welt, wie er selbst bekundete.  Es war  ein geburtenstarker Jahrgang, dem er angehörte.   Zusammen mit ihm  drückten  zahlreiche Kinder heimgekehrter  Kriegsteilnehmer die Nitzkydorfer Schulbank  in den Jahren 1926-30. Es folgten 1930-33 die Unterstufe der Temeswarer Banatia und 1933-35 die Deutsche Ackerbauschule in Woiteg. Schon früh angagierte er sich sozial-politisch und  übernahm ehrenamtliche Verantwortung. 1935-1939 war er Obmann des von Ortspfarrer Johann Schill neugegründeten kirchennahen Deutsch-katholischen Jugendvereins (DKJ), der eine rege kulturelle Tätigkeit entfaltete und in diesen Jahren unter anderem das Jugendheim erbaute und einrichtete. Bis Kriegsausbruch war er außerdem örtlicher Korrespondent des rumänischen Ackerbauministeriums.

Deutsch-völkische Zeit in Rumänien

Zu seinen ersten sozialpolitischen Wahrnehmungen gehörten Anzeichen eines sich anbahnenden Wertewandels: 1939 wurde der katholisch geprägte DKJ in die Deutsche Jugend (DJ) zwangsintegriert. Im Zuge dieser Zwangsfusion ging sämtliches Eigentum der DKJ auf die DJ über. Was katholisch war, musste dem Völkischen weichen oder sich ihm in den Dienst stellen. Sogar das Kreuz und die zu Ehren des in Nitzkydorf außerordentlich beliebten Pfarrers Johann Schill als Gründer angebrachte Marmorgedenktafel wurden aus dem nun übereigneten Jugendheim entfernt. Die Zwangsfusion war auf Landesebene, also „von oben“, angeordnet worden, nicht überall erfolgte sie jedoch widerspruchslos. In Nitzkydorf jedenfalls gab es dagegen so starken Widerstand, dass Gaujugendführer Bloser und Bundesseelsorger Heyer persönlich anreisten, um die Fusion an Ort und Stelle durchzusetzen. Peter Konrad als Obmann des nunmehr zwangsintegrierten Katholisch-deutschen bzw. Deutsch-katholischen Jugendvereins – auch über diese Namensgebung war in Nitzkydorf in den Vorjahren gerungen worden, wie wir seinen Memoiren entnehmen – blieb außen vor und den neuen Entwicklungen gegenüber auf Distanz. Nach Kriegsausbruch, um das Jahr 1940, tauchten die ersten, in Busiasch stationierten (reichs-) deutschen Soldaten auf, die man sonntags gerne nach Nitzkydorf einlud und mit großer Anteilnahme als Landsleute beköstigte. Peter Konrad beobachtete, dass die Nitzkydorfer Jugend von ihnen allzu bereitwillig lernte, ausgelassen zu trinken und zu rauchen, was bis dahin für Jugendliche in Nitzkydorf als unanständig galt. Man sang nun auch neue Lieder. Katholiken, die sonntags regelmäßig zur Kirche gingen und dort aufgepasst hatten, wie Peter Konrad und andere Oppositionelle, konnten da nicht guten Gewissens mitsingen. Anfangs witzelte man über die Allzustrammen der DJ. In einem auf der Dorfbühne gespielten Schwank, zum Beispiel, ließ man eine arrogante Witzfigur auftreten und rief ihr hinterher: „Der kommt wohl aus Berlin – oder gar aus Berin?“ Vielleicht muss man Nitzkydorfer oder aus der näheren Banater Hecke sein, um das Wortspiel Berlin-Berin zu verstehen. Der Streit eskalierte. Es führt zu weit, die weiteren, sich bis zu körperlichen Auseinandersetzungen zuspitzenden Nitzkydorfer Ereignisse jener Tage an dieser Stelle auch nur so weit zu schildern, wie Peter Konrad dies in seinen Memoiren teilweise tut, jedoch wäre eine Darstellung banathistorisch vielleicht in anderem Zusammenhang nicht uninteressant.

Ab 1938 erlebte Peter Konrad die Ortsgeschehnisse nur bruchstückhaft, da er seinen Militärdienst vorgezogen ableistete, mit dem Ziel,  als einziger Sohn alsbald im elterlichen Hofe  seinen Mann zu stehen.  Der Kriegsbeginn machte nicht nur ihm einen Strich durch die Zukunftsplanung.  Als frisch ausgebildeter Reservist wurde er eingezogen und kam 1941-1943 mit seiner rumänischen Militäreinheit an der Ostfront zum Kriegseinsatz. Ausführlich schildert er in seinen Memoiren, wie seine Einheit dem Kessel von Stalingrad im letzten Moment entkam. Das ferne Dröhnen der  Stalinorgeln ist ihm  in  schauderhafter  Erinnerung geblieben. Die dabei unter den Überlebenden sich ausbreitende Erkenntnis der Chancenlosigkeit gegen die feindliche Übermacht einerseits und andererseits auch das Erlebnis einer für ihn als Frontsoldaten geradezu lächerlich-weltfremden, ideologischen Verirrung der „Heimatfront“-Propaganda in Nitzkydorf, lässt uns verstehen, warum Peter Konrad eine schwere Erkrankung zum Anlass nahm, sich 1943 anlässlich seines Krankenurlaubs vom Kriegsdienst dauerhaft beurlauben zu lassen. Dem Druck der sogenannten „Deutschen Mannschaft“ (DM), sich in den Folgejahren erneut, diesmal freiwillig zum Kriegsdienst im deutschen Heer zu melden, gab er – gut beraten und aufgrund der Fronterfahrung aus Russland – nicht nach. Deshalb war er mannigfachen Anfeindungen ausgesetzt. Unter anderem schmierte ihm die DM den Sowjetstern mit Hammer und Sichel auf die Hausfassade. Im Rückblick ist es gewiss leichter zu urteilen, wer später Recht behalten sollte. Ganz im Sinne von Peter Konrads Lebensauffassung gilt aber auch schuldmildernd für die Verblendeten, dass sie nicht wussten, was sie taten, denn sie waren unerfahren und somit leicht verführbar. Aus ihrem Blickwinkel musste wohl alles gut erscheinen, was aus dem Mutterland kam – kamen doch von dort auch so nützliche Dinge wie Traktoren und Dreschmaschinen, nicht zuletzt wir selber. Jedenfalls kann demnach kein Zweifel daran bestehen, dass Peter Konrad sich der Kollaboration mit Nationalsozialisten nicht schuldig gemacht hatte. Es erscheint rückblickend geradezu grotesk, dass ausgerechnet die Nichte des DJ-Obmanns  und Scharfmachers der DM, Matthias G., die damals schon bekannte Schriftstellerin Herta M. Anfang der achtziger Jahre - anlässlich einer Stippvisite aus Rumänien in Deutschland - im Zweiten Deutschen Fernsehen auftrat mit dem öffentlichen Vorwurf, ihre Landsleute, die Banater Schwaben, hätten den „Faschismus“ noch nicht überwunden. Ihrem Landsmann Peter Konrad jedenfalls hat sie damit Unrecht getan und nicht nur ihm.

Kommunismus

In den schicksalhaften Kriegsjahren 1943-1945 finden wir Peter Konrad folglich zu Hause in Nitzkydorf, mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb und dem Aufbau seiner Familie beschäftigt. 1943 heiratete er Katharina Gion, die aus einer angesehenen Großbauernfamilie stammt und die einen nicht unwesentlichen Anteil am Gelingen seines Lebens hat. 1944 bzw. 1945 wurden die beiden Töchter Anna und Katharina geboren. Seiner Frau blieb die „Russlandverschleppung“ erspart, weil das erste Kind noch nicht ein Jahr alt war. Dass er selbst nicht nach Russland deportiert wurde, verdankte er meinem Eindruck nach der sprichwörtlichen rumänischen „omenie“ (Menschlichkeit) einiger Offiziere seiner rumänischen Reserveeinheit, bei der er sich in den entscheidenden Tagen der Aushebung aufhielt und die ihn und andere nicht auslieferten, wie wir seinen Aufzeichnungen entnehmen.

Zu Beginn der kommunistischen Zeit gehörte Familie Konrad zu den durch die Agrarreform Enteigneten, wie die anderen Dorfbewohner. Die neuen Machthaber boten ihm das Amt des Dorfrichters an, da er politisch nicht vorbelastet war. Er lehnte jedoch ab- nicht nur weil er in Russland gesehen hatte, wie Kommunismus funktioniert - und blieb zeitlebens ein konsequenter Antikommunist. Für den Kriegsdienst in der rumänischen Armee bekam er fünf Hektar Land, wie auch einige andere Nitzkydorfer, die sogenannten Neun-Joch-Bauern. Dem Druck des Staates, in die Kollektivwirtschaft einzutreten, beugte er sich nicht und verlor deshalb die fünf Hektar Land wieder. Es führt zu weit all die mannigfachen Diskriminierungen, ja mafiösen Drangsalierungen durch die kommunistischen Dorfautoritäten hier zu beschreiben, denen er ausgesetzt war.  Durch die Rußlandverschleppung und den existenzvernichtenden Landverlust war der von einem Bauern in Nitzkydorf gefühlte Wertewandel  im Kommunismus extrem  schmerzhaft, auch brüsker einsetzend und länger wirksam als der eher schleichende und unvollendet gebliebene im Nationalsozialismus.  Die Rechte auf Freiheit und Eigentum waren schon früh empfindlich eingeschränkt worden.  Das Recht Andersdenkender auf Leben war  zeitweise  stark gefährdet, nämlich  in der Anfangsphase als Folge des Krieges und in der Endphase, als die Auswanderungswelle bereits lief.  Im Gegensatz dazu war das ungeborene Leben ohne Wenn und Aber geschützt, zumindest auf dem Papier, wie übrigens so vieles im Kommunismus „auf dem Papier“  und auf den ersten Blick gar nicht so schlecht erschien, in der Realität jedoch meist nicht funktionierte.

Trotz allem gelang es Peter Konrad für seine Familie treu zu sorgen und insbesondere auch die für einen Nitzkydorfer nicht geringen Kosten eines pädagogischen Studiums für beide Töchter aufzubringen, die heute Lehrerinnen i.R. sind. Die für viele Menschen materiell wie zwischenmenschlich bittere Endzeit des kommunistischen Regimes musste er glücklicherweise nicht mehr ertragen. 1979 gelang den Töchtern die Flucht nach Deutschland, 1981 konnten die Eltern nachkommen.

Deutschland

1983 gehörte Peter Konrad zusammen mit anderen Nitzkydorfern seiner Generation zu den Gründern der HOG Nitzkydorf, deren Vorsitzender – mit all den damit verbundenen Aufgaben – er bis 1991 blieb, als er das Amt des HOG-Sprechers aus Altersgründen  abgab  und zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde. Darüber hinaus war er über all die Jahre in Deutschland Nitzkydorf- Vertrauensmann der Heimatauskunftstelle für Fragen der Vermögensfeststellung.

Die Übergabe des HOG-Vorsitzes  an mich  als seinen Nachfolger in diesem Amt fiel in die Zeit der Heimatbuchbearbeitung. Als einer der vier Hauptverfasser übernahm er dabei  das wichtige Kapitel über die Nitzkydorfer Landwirtschaft. Eine Aktion aus dieser Zeit sei hier erwähnt, die Peter Konrad und ich gemeinsam  durchführten: Mit der  Übernahme des HOG-Vorsitzes hatte ich alle beteiligten Ehrenamtlichen unterschreiben lassen, dass sie nicht in der Securitate waren. Peter Konrad wunderte sich zuerst, dass ich das sogar von ihm als  Ehrenvorsitzendem verlangte, er tat es  jedoch ohne Zögern.  Die Idee gefiel ihm schließlich so gut, dass er mir alsbald eine Liste mit 23 Namen der am Heimatbuch beteiligten Personen überreichte mit dem Vorschlag auch diese unterschreiben zu lassen. Ich fertigte einen Musterbrief an, in welchem die Angeschriebenen sich durch bloßes Ankreuzen von  „ja“ oder „nein“ oder auch ausführlicher erklären konnten.  Das Ergebnis waren 20 klare Nein-Antworten, teils mit entrüsteten Grüßen, wie man denn an ihnen zweifeln könne.  Zwei Landsleute wiesen die Frage giftig zurück mit der Bemerkung, das gehe mich nichts an bzw. man gebe der HOG Nitzkydorf  als Teil der Landsmannschaft der Banater Schwaben prinzipiell  keinerlei Auskunft. Ein Dritter, der mittlerweile verstorbene  Nitzkydorfer Anton M.,  gab in seinem Brief zu, Securitate-Spitzel gewesen zu sein. In einem  zweiseitigen Brief erklärte er mir Gründe und Hintergründe und  beteuerte, daß er in einer Zwangslage zur Kollaboration gezwungen worden sei und stets darauf geachtet habe, niemandem zu schaden. Er schloss  verbittert  mit der Bemerkung, dies alles habe er vor zwanzig Jahren schon meinem Vater erzählt, der ihn verstanden und ihm vergeben habe und er verstehe nun  nicht, was ich jetzt noch wolle und ob ich nun klüger sei. Im Rückblick denke ich hier, am Grabe von Peter Konrad: Ja, ich bin durch diesen Brief klüger geworden, denn von den drei Negativ-Antworten war sie nicht nur die einzig akzeptable. Sie rührt mich heute noch und ich denke differenzierter über Kollaborateure, falls diese unter Druck zu Kollaboration  gezwungen waren.  Gehören nicht auch Bereitschaft zu Bekenntnis, Reue, Umkehr und Buße sowie, andererseits, Fähigkeit zu verzeihen mit zu unseren sogenannten „Werten“?  Wer ist übler, bereuender „Stehler“ oder leugnender „Hehler“?

Der Fuchs war immer schon Jäger?

Womit meine Zeitreise in der Gegenwart zurück ist mit einem abschließenden Blick auf die eingangs erwähnten Wertvorstellungen: Was bei Peter Konrads Geburt noch heilig war, ist heute teilweise strafbar. War alles falsch, woran unsere Großeltern glaubten? Oder sind vielleicht heute Fernseher und iPad das für Tabubrüche blind machende  „goldene Kalb“,   wie anno dazumal Traktor und Dreschmaschine?

Einen möglichen Schlüssel zu dieser Frage finde ich in Peter Konrads Nachlass: In der Nitzkydorfer Kirche wurde zu Ostern ca. hundert Jahre lang eine von dem Nitzkydorfer Matthias S. im Jahre 1878 komponierte Osterpassion gesungen. Peter Konrad sang dabei die Jesus-Stimme, deren Original-Partitur deshalb in seinem Nachlass erhalten ist. Darin steht in gotischer Handschrift folgendes Jesus-Zitat: „… Trinket alle daraus, denn das ist mein Blut des neuen Testamentes, das für viele wird vergossen werden, zur Vergebung der Sünden...“. Wir kennen diese Wandlungsworte in der aktuellen Formulierung: „… das ist mein Blut…,  das für Euch und für alle vergossen wird, zur Vergebung der Sünden…“. Wurde Christi Blut nun „für viele“, wie in der Nitzkydorfer Osterpassion und sinngleich mit „pro multis“, wie im lateinischen Urtext oder wurde es „für alle“ vergossen zur Vergebung der Sünden, wie wir es heute sonntäglich hören? Es scheint selbst hier, gewissermaßen in den allerheiligsten „Grundwerten“, ein Wandel stattgefunden zu haben, der die Unterscheidung von Gut und Böse betrifft. Unsere heutige Welt, aus der wir das allgegenwärtige Böse samt Todsünde und Hölle ausgeblendet  haben und die – vielleicht gerade deshalb – in vielerlei Hinsicht schöner und behaglicher ist als die damalige, hat einen entscheidenden Makel: Ihre Bilanzen stimmen nicht, ja, sie scheint insgesamt und dauerhaft nicht bezahlbar, trotz vielerlei Sinnhaftigkeit im Einzelnen. Unbezahlbarkeit, die ich meine, ist gewollt und Folge von materiell und sexuell ungezügelter, selbstsuchtgetriebener Gier. Wenn schon Unterlassung guter Taten böse und sogar fehlende Rentabilität an sich nicht offensichtlich schlechter Taten verdammenswert sein kann – man denke an das Gleichnis von den sicher vergrabenen und deshalb keinen Profit bringenden Talenten  –, um wie viel mehr ist dann diese willentliche Unbezahlbarkeit böse? Gewiss, Bösen kann vergeben werden, nach Reue, Umkehr und Buße, wobei auch  mildernde Umstände gelten können,  wenn man nicht weiß, was man tut. Über Gut und Böse kann man streiten, muss man sogar. Auch wir Nitzkydorfer haben gelegentlich darüber gestritten. Über Unbezahlbarkeit waren wir uns jedoch einig: In Luftschlösser hat man in dem Nitzkydorf, dem wir angehörten, nicht investiert.  Und wenn ich hier „ wir“  schreibe, darf ich vielleicht  nicht für so viele Nitzkydorfer sprechen, wie noch vor 1997, als ich  den  HOG-Vorsitz und die damit verbundene Sprecherfunktion aus gesundheitlichen Gründen abgeben musste.  Der Fuchs war immer schon der Jäger? Für uns nicht. Als böser Räuber unserer guten Hühner war er in Nitzkydorf stets ein Gejagter. Er soll es bleiben… Wir stehen an einem Grabe.

 

 

 

 

 

*) Alle Rechte beim Autor Prof. Dr.-Ing. Josef Schmadl.  Eine Kurzfassung dieser überarbeiteten Urfassung ist in der Banater Post Nr. 11 vom 5. Juni 2013  unter „Dokumentation“ enthalten.