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Treue
in Zeiten des Wertewandels Gedanken am Grabe des Nitzkydorfers Peter Konrad von Josef Peter Schmadl *) Peter
Konrad war viele Jahre ehrenamtlich im Dienste der Nitzkydorfer tätig, sowohl
in der alten Heimat Banat wie auch in Deutschland. Bereits im Jahre 1994 war er
anlässlich seines 75. Geburtstages mit der Verdienstmedaille der
Landsmannschaft der Banater Schwaben in Silber ausgezeichnet worden. In diesem
Zusammenhang erschien eine Würdigung seines Lebenswerkes bis dato auf Seite 5
der Banater Post Nr. 20 vom 20. Oktober 1994, die – überarbeitet – auch in
dem von ihm mitverfassten Buch „Nitzkydorf. Chronik und Heimatbuch einer
deutschen Gemeinde im Banat 1785-1992“ auf Seite 329 enthalten ist. Daran anknüpfend
ist zu ergänzen, dass Peter Konrad in den Folgejahren eine schöne Zeit im
Kreise seiner Familie erlebte, bis er am 17. September 2012 im Alter von fast 93
Jahren verstarb. Solange es seine Gesundheit erlaubte, blieb er, was er immer
war: ein unermüdlicher Arbeiter für sozialpolitische Werte, stets bereit zu
ehrenamtlichem Einsatz für die Gemeinschaft, in diesen späten Jahren zum
Beispiel als Mitglied im Seniorenbeirat der Stadt München und in seiner
Kirchengemeinde Maximilian Kolbe in München-Neuperlach, die ebenso Anteil nahm
an seinem Tod wie wir Nitzkydorfer. Es
war einmal… Wäre
Peter Konrad in Nitzkydorf verstorben, wo er etwa zwei Drittel seines Lebens
verbrachte, so hätte er wohl dort eine noch größere
„Leicht“ gehabt. Von einer solchen können wir ehemalige Nitzkydorfer
heute nur träumen: Auf seinem
letzten Weg von der Totenbahre im Hause zur Kirche und von dort, nach dem
Requiem, zum Friedhof gehen die
meisten, von ihren Tagespflichten abkömmlichen Nitzkydorfer mit. Der
Dreiklang der Kirchenglocken beim Zusammenläuten hört sich an wie
ein letzter Ruf des Lebens, ein vielstimmiger Abschiedsgruß der
Dorfgemeinschaft. Eigentümlich klingt danach die Mischung aus dem
hellen Ziehgleckl-Ton vom Kirchenturm und dem Trauermarsch „Auf ewig“
oder „letzter Gang“, gespielt von der Blaskapelle, deren tiefer, weithin hörbarer
Kontrabass auch jene
zuhause aufhorchen und innehalten lässt, die nicht mitgehen können. Der
Kreuzträger vorne ist schon am
Friedhof, während die Letzten gerade aus der Kirche heraus kommen. Dazwischen
geht der schier endlose, schwarz gekleidete Zug am Gemeindehaus vorbei, durch
die Kerchegass, die am südwestlichen Ortsrand gelegene Zwerchgass überquerend,
in der, nur wenige Häuser entfernt, sein Elternhaus und späteres Eigenheim
gestanden hat. Das Bimmeln
aus der Friedhofskapelle empfängt den ankommenden Trauerzug wie aus
jener anderen Welt herübertönend, die wir nur erahnen dürfen. Soweit noch am
Leben, begleiten den Sarg Mitglieder
des Kirchenvorstandes; dessen langjähriger Sprecher er war. An seinem Grabe ertönt
der Psalm 94 (vorkonziliäre Nummerierung) und refrainhaft das
„Dolores inferni - circumdederunt me“ . Der Pfarrer hält eine
bewegende Rede. Kantor und Kirchenchor, dessen Mitglied er zeitlebens war,
erweisen ihm mit ihrem Gesang die letzte Ehre. Zum Schluss spricht man der
Familie am Grab sein Beileid aus, um danach zu seinen Tagespflichten zurückzueilen.
Vielleicht bleiben einige Verwandte und Freunde noch eine Weile bei den Angehörigen
am Grabe stehen. Zu ihnen möchte ich mich hier in Gedanken gesellen und zurückschauen
auf die von Peter Konrad „erlebte, durchlebte und überlebte“ Zeit , wie er
selbst diese nahezu ein Jahrhundert umfassende Zeitspanne in seinen Memoiren
benennt, die er uns hinterlassen hat, bezeichnenderweise unter dem Titel:
„Nitzkydorf – eine deutsche Gemeinde im Banat in den Fängen zweier
Diktaturen von 1935 bis 1981“. Auf
einer kurzen Zeitreise durch sein langes Lebens
falle unser Blick besonders
auf den schwindelerregenden
Wertewandel, in den sich auch Peter Konrad
- in seinem persönlichen Umfeld - zeitlebens
engagiert einmischte. K.u.k.-Wertvorstellungen
in Nitzkydorf Sein Geburtsjahr 1919 war
eine Zeitenwende. Sie hinterließ Kriegswaisen und Kriegerwitwen, ließ aber im
Übrigen einigermaßen intakt, was dem Schwaben gut und teuer war. Der Bauer
behielt sein „Feld“ als Existenzgrundlage, aber auch seine
Wertvorstellungen, die sich wohl am besten zusammenfassen lassen mit einem
dreifachen „Menschenrecht“ , nämlich dem
Recht auf Leben, dem Recht auf Freiheit und dem Recht auf Eigentum, wie
angeblich bereits im 14. Jh. von Papst Clemens VI niedergeschrieben.
Diese urkatholischen Rechte blieben im Königreich Rumänien zunächst
weitestgehend unangetastet. Der Mann war das Oberhaupt der Familie und
die Frau „dem Manne untertan“. Die entsprechenden Paulusworte (Eph. 5)
standen damals nicht nur im Trauschein der Eheleute Konrad sen., sondern wohl in
jedem Nitzkydorfer römisch-katholischen Trauschein bis in die fünfziger Jahre
hinein. Die Frau ging verheirateten Standes nicht ohne Kopftuch zur Kirche und
kleidete sich auch sonst sittsam und dezent. Bei der Gattenwahl hatten die
Eltern ein entscheidendes Wort mitzureden. Ein Nitzkydorfer Schulbuch aus jener
Zeit, nach dem Peter Konrad und wohl auch schon seine Eltern unterrichtet
wurden, enthielt ein Lesestück mit dem Titel: „Eine Ohrfeige zur rechten
Zeit“. Gewalt war noch kein Monopol des Staates und lag bezüglich der
Kindererziehung weitestgehend in der Hand der Eltern, delegiert bei Bedarf
selbstverständlicherweise an Lehrer oder sogar Nachbar, falls dessen Kirschen
oder Äpfel in Gefahr waren, wie in dem erwähnten Lesestück. Gegenstand einer
möglichen Fragestellung ist dabei aber nicht,
wie man heute diese Wertvorstellungen findet sondern ob die damalige
Generation mit ihnen erfolgreich, vielleicht sogar glücklich lebte oder nicht. In jene Zeit wurde Peter
Konrad am 27. Oktober 1919 hineingeboren. Er erlebte eine glückliche Kindheit
in einer ihm heil erscheinenden Welt, wie er selbst bekundete.
Es war ein geburtenstarker
Jahrgang, dem er angehörte. Zusammen
mit ihm drückten
zahlreiche Kinder heimgekehrter Kriegsteilnehmer
die Nitzkydorfer Schulbank in den
Jahren 1926-30. Es folgten 1930-33 die Unterstufe der Temeswarer Banatia und
1933-35 die Deutsche Ackerbauschule in Woiteg. Schon früh angagierte er sich
sozial-politisch und übernahm
ehrenamtliche Verantwortung. 1935-1939 war er Obmann des von Ortspfarrer Johann
Schill neugegründeten kirchennahen Deutsch-katholischen Jugendvereins (DKJ),
der eine rege kulturelle Tätigkeit entfaltete und in diesen Jahren unter
anderem das Jugendheim erbaute und einrichtete. Bis Kriegsausbruch war er außerdem
örtlicher Korrespondent des rumänischen Ackerbauministeriums. Deutsch-völkische
Zeit in Rumänien Zu seinen ersten
sozialpolitischen Wahrnehmungen gehörten Anzeichen eines sich anbahnenden
Wertewandels: 1939 wurde der katholisch geprägte DKJ in die Deutsche Jugend
(DJ) zwangsintegriert. Im Zuge dieser Zwangsfusion ging sämtliches Eigentum der
DKJ auf die DJ über. Was katholisch war, musste dem Völkischen weichen oder
sich ihm in den Dienst stellen. Sogar das Kreuz und die zu Ehren des in
Nitzkydorf außerordentlich beliebten Pfarrers Johann Schill als Gründer
angebrachte Marmorgedenktafel wurden aus dem nun übereigneten Jugendheim
entfernt. Die Zwangsfusion war auf Landesebene, also „von oben“, angeordnet
worden, nicht überall erfolgte sie jedoch widerspruchslos. In Nitzkydorf
jedenfalls gab es dagegen so starken Widerstand, dass Gaujugendführer Bloser
und Bundesseelsorger Heyer persönlich anreisten, um die Fusion an Ort und
Stelle durchzusetzen. Peter Konrad als Obmann des nunmehr zwangsintegrierten
Katholisch-deutschen bzw. Deutsch-katholischen Jugendvereins – auch über
diese Namensgebung war in Nitzkydorf in den Vorjahren gerungen worden, wie wir
seinen Memoiren entnehmen – blieb außen vor und den neuen Entwicklungen gegenüber
auf Distanz. Nach Kriegsausbruch, um das Jahr 1940, tauchten die ersten, in
Busiasch stationierten (reichs-) deutschen Soldaten auf, die man sonntags gerne
nach Nitzkydorf einlud und mit großer Anteilnahme als Landsleute beköstigte.
Peter Konrad beobachtete, dass die Nitzkydorfer Jugend von ihnen allzu
bereitwillig lernte, ausgelassen zu trinken und zu rauchen, was bis dahin für
Jugendliche in Nitzkydorf als unanständig galt. Man sang nun auch neue Lieder.
Katholiken, die sonntags regelmäßig zur Kirche gingen und dort aufgepasst
hatten, wie Peter Konrad und andere Oppositionelle, konnten da nicht guten
Gewissens mitsingen. Anfangs witzelte man über die Allzustrammen der DJ. In
einem auf der Dorfbühne gespielten Schwank, zum Beispiel, ließ man eine
arrogante Witzfigur auftreten und rief ihr hinterher: „Der kommt wohl aus
Berlin – oder gar aus Berin?“ Vielleicht muss man Nitzkydorfer oder aus der
näheren Banater Hecke sein, um das Wortspiel Berlin-Berin zu verstehen. Der
Streit eskalierte. Es führt zu weit, die weiteren, sich bis zu körperlichen
Auseinandersetzungen zuspitzenden Nitzkydorfer Ereignisse jener Tage an dieser
Stelle auch nur so weit zu schildern, wie Peter Konrad dies in seinen Memoiren
teilweise tut, jedoch wäre eine Darstellung banathistorisch vielleicht in
anderem Zusammenhang nicht uninteressant. Ab 1938 erlebte Peter
Konrad die Ortsgeschehnisse nur bruchstückhaft, da er seinen Militärdienst
vorgezogen ableistete, mit dem Ziel, als
einziger Sohn alsbald im elterlichen Hofe seinen
Mann zu stehen. Der Kriegsbeginn
machte nicht nur ihm einen Strich durch die Zukunftsplanung. Als
frisch ausgebildeter Reservist wurde er eingezogen und kam 1941-1943 mit seiner
rumänischen Militäreinheit an der Ostfront zum Kriegseinsatz. Ausführlich
schildert er in seinen Memoiren, wie seine Einheit dem Kessel von Stalingrad im
letzten Moment entkam. Das ferne Dröhnen der
Stalinorgeln ist ihm in
schauderhafter Erinnerung
geblieben. Die dabei unter den Überlebenden sich ausbreitende Erkenntnis der
Chancenlosigkeit gegen die feindliche Übermacht einerseits und andererseits
auch das Erlebnis einer für ihn als Frontsoldaten geradezu lächerlich-weltfremden,
ideologischen Verirrung der „Heimatfront“-Propaganda in Nitzkydorf, lässt
uns verstehen, warum Peter Konrad eine schwere Erkrankung zum Anlass nahm, sich
1943 anlässlich seines Krankenurlaubs vom Kriegsdienst dauerhaft beurlauben zu
lassen. Dem Druck der sogenannten „Deutschen Mannschaft“ (DM), sich in den
Folgejahren erneut, diesmal freiwillig zum Kriegsdienst im deutschen Heer zu
melden, gab er – gut beraten und aufgrund der Fronterfahrung aus Russland –
nicht nach. Deshalb war er mannigfachen Anfeindungen ausgesetzt. Unter anderem
schmierte ihm die DM den Sowjetstern mit Hammer und Sichel auf die Hausfassade.
Im Rückblick ist es gewiss leichter zu urteilen, wer später Recht behalten
sollte. Ganz im Sinne von Peter Konrads Lebensauffassung gilt aber auch
schuldmildernd für die Verblendeten, dass sie nicht wussten, was sie taten,
denn sie waren unerfahren und somit leicht verführbar. Aus ihrem Blickwinkel
musste wohl alles gut erscheinen, was aus dem Mutterland kam – kamen doch von
dort auch so nützliche Dinge wie Traktoren und Dreschmaschinen, nicht zuletzt
wir selber. Jedenfalls kann demnach kein Zweifel daran bestehen, dass Peter
Konrad sich der Kollaboration mit Nationalsozialisten nicht schuldig gemacht
hatte. Es erscheint rückblickend geradezu grotesk, dass ausgerechnet die Nichte
des DJ-Obmanns und Scharfmachers der
DM, Matthias G., die damals schon bekannte Schriftstellerin Herta M. Anfang der
achtziger Jahre - anlässlich einer Stippvisite aus Rumänien in Deutschland -
im Zweiten Deutschen Fernsehen auftrat mit dem öffentlichen Vorwurf, ihre
Landsleute, die Banater Schwaben, hätten den „Faschismus“ noch nicht überwunden.
Ihrem Landsmann Peter Konrad jedenfalls hat sie damit Unrecht getan und nicht
nur ihm. Kommunismus In den schicksalhaften
Kriegsjahren 1943-1945 finden wir Peter Konrad folglich zu Hause in Nitzkydorf,
mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb und dem Aufbau seiner Familie beschäftigt.
1943 heiratete er Katharina Gion, die aus einer angesehenen Großbauernfamilie
stammt und die einen nicht unwesentlichen Anteil am Gelingen seines Lebens hat.
1944 bzw. 1945 wurden die beiden Töchter Anna und Katharina geboren. Seiner
Frau blieb die „Russlandverschleppung“ erspart, weil das erste Kind noch
nicht ein Jahr alt war. Dass er selbst nicht nach Russland deportiert wurde,
verdankte er meinem Eindruck nach der sprichwörtlichen rumänischen
„omenie“ (Menschlichkeit) einiger Offiziere seiner rumänischen
Reserveeinheit, bei der er sich in den entscheidenden Tagen der Aushebung
aufhielt und die ihn und andere nicht auslieferten, wie wir seinen
Aufzeichnungen entnehmen. Zu
Beginn der kommunistischen Zeit gehörte Familie Konrad zu den durch die
Agrarreform Enteigneten, wie die anderen Dorfbewohner. Die neuen Machthaber
boten ihm das Amt des Dorfrichters an, da er politisch nicht vorbelastet war. Er
lehnte jedoch ab- nicht nur weil er in Russland gesehen hatte, wie Kommunismus
funktioniert - und blieb zeitlebens ein konsequenter Antikommunist. Für den
Kriegsdienst in der rumänischen Armee bekam er fünf Hektar Land, wie auch
einige andere Nitzkydorfer, die sogenannten Neun-Joch-Bauern. Dem Druck des
Staates, in die Kollektivwirtschaft einzutreten, beugte er sich nicht und verlor
deshalb die fünf Hektar Land wieder. Es führt zu weit all die mannigfachen
Diskriminierungen, ja mafiösen Drangsalierungen durch die kommunistischen
Dorfautoritäten hier zu beschreiben, denen er ausgesetzt war. Durch
die Rußlandverschleppung und den existenzvernichtenden Landverlust war der von
einem Bauern in Nitzkydorf gefühlte Wertewandel
im Kommunismus extrem schmerzhaft,
auch brüsker einsetzend und länger wirksam als der eher schleichende und
unvollendet gebliebene im Nationalsozialismus.
Die Rechte auf Freiheit und Eigentum waren schon früh empfindlich
eingeschränkt worden. Das Recht
Andersdenkender auf Leben war zeitweise
stark gefährdet, nämlich in
der Anfangsphase als Folge des Krieges und in der Endphase, als die
Auswanderungswelle bereits lief. Im
Gegensatz dazu war das ungeborene Leben ohne Wenn und Aber geschützt, zumindest
auf dem Papier, wie übrigens so vieles im Kommunismus „auf dem Papier“
und auf den ersten Blick gar nicht so schlecht erschien, in der Realität
jedoch meist nicht funktionierte. Trotz
allem gelang es Peter Konrad für seine Familie treu zu sorgen und insbesondere
auch die für einen Nitzkydorfer nicht geringen Kosten eines pädagogischen
Studiums für beide Töchter aufzubringen, die heute Lehrerinnen i.R. sind. Die
für viele Menschen materiell wie zwischenmenschlich bittere Endzeit des
kommunistischen Regimes musste er glücklicherweise nicht mehr ertragen. 1979
gelang den Töchtern die Flucht nach Deutschland, 1981 konnten die Eltern
nachkommen. Deutschland 1983
gehörte Peter Konrad zusammen mit anderen Nitzkydorfern seiner Generation zu
den Gründern der HOG Nitzkydorf, deren Vorsitzender – mit all den damit
verbundenen Aufgaben – er bis 1991 blieb, als er das Amt des HOG-Sprechers aus
Altersgründen abgab
und zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde. Darüber hinaus war er über
all die Jahre in Deutschland Nitzkydorf- Vertrauensmann der Heimatauskunftstelle
für Fragen der Vermögensfeststellung. Die
Übergabe des HOG-Vorsitzes an mich
als seinen Nachfolger in diesem Amt fiel in die Zeit der
Heimatbuchbearbeitung. Als einer der vier Hauptverfasser übernahm er dabei
das wichtige Kapitel über die Nitzkydorfer Landwirtschaft. Eine Aktion
aus dieser Zeit sei hier erwähnt, die Peter Konrad und ich gemeinsam
durchführten: Mit der Übernahme
des HOG-Vorsitzes hatte ich alle beteiligten Ehrenamtlichen unterschreiben
lassen, dass sie nicht in der Securitate waren. Peter Konrad wunderte sich
zuerst, dass ich das sogar von ihm als Ehrenvorsitzendem
verlangte, er tat es jedoch ohne Zögern.
Die Idee gefiel ihm schließlich so gut, dass er mir alsbald eine Liste
mit 23 Namen der am Heimatbuch beteiligten Personen überreichte mit dem
Vorschlag auch diese unterschreiben zu lassen. Ich fertigte einen Musterbrief
an, in welchem die Angeschriebenen sich durch bloßes Ankreuzen von
„ja“ oder „nein“ oder auch ausführlicher erklären konnten.
Das Ergebnis waren 20 klare Nein-Antworten, teils mit entrüsteten Grüßen,
wie man denn an ihnen zweifeln könne. Zwei
Landsleute wiesen die Frage giftig zurück mit der Bemerkung, das gehe mich
nichts an bzw. man gebe der HOG Nitzkydorf als
Teil der Landsmannschaft der Banater Schwaben prinzipiell
keinerlei Auskunft. Ein Dritter, der mittlerweile verstorbene
Nitzkydorfer Anton M., gab in
seinem Brief zu, Securitate-Spitzel gewesen zu sein. In einem
zweiseitigen Brief erklärte er mir Gründe und Hintergründe und
beteuerte, daß er in einer Zwangslage zur Kollaboration gezwungen worden
sei und stets darauf geachtet habe, niemandem zu schaden. Er schloss
verbittert mit der Bemerkung,
dies alles habe er vor zwanzig Jahren schon meinem Vater erzählt, der ihn
verstanden und ihm vergeben habe und er verstehe nun
nicht, was ich jetzt noch wolle und ob ich nun klüger sei. Im Rückblick
denke ich hier, am Grabe von Peter Konrad: Ja, ich bin durch diesen Brief klüger
geworden, denn von den drei Negativ-Antworten war sie nicht nur die einzig
akzeptable. Sie rührt mich heute noch und ich denke differenzierter über
Kollaborateure, falls diese unter Druck zu Kollaboration gezwungen
waren. Gehören nicht auch
Bereitschaft zu Bekenntnis, Reue, Umkehr und Buße sowie, andererseits, Fähigkeit
zu verzeihen mit zu unseren sogenannten „Werten“?
Wer ist übler, bereuender „Stehler“ oder leugnender „Hehler“? Der Fuchs war immer
schon Jäger? Womit meine Zeitreise in
der Gegenwart zurück ist mit einem abschließenden Blick auf die eingangs erwähnten
Wertvorstellungen: Was bei Peter Konrads Geburt noch heilig war, ist heute
teilweise strafbar. War alles falsch, woran unsere Großeltern glaubten? Oder
sind vielleicht heute Fernseher und iPad das für Tabubrüche blind machende „goldene
Kalb“, wie anno dazumal
Traktor und Dreschmaschine? Einen möglichen Schlüssel
zu dieser Frage finde ich in Peter Konrads Nachlass: In der Nitzkydorfer Kirche
wurde zu Ostern ca. hundert Jahre lang eine von dem Nitzkydorfer Matthias S. im
Jahre 1878 komponierte Osterpassion gesungen. Peter Konrad sang dabei die
Jesus-Stimme, deren Original-Partitur deshalb in seinem Nachlass erhalten ist.
Darin steht in gotischer Handschrift folgendes Jesus-Zitat: „… Trinket alle
daraus, denn das ist mein Blut des neuen Testamentes, das für viele wird
vergossen werden, zur Vergebung der Sünden...“. Wir kennen diese
Wandlungsworte in der aktuellen Formulierung: „… das ist mein Blut…, das
für Euch und für alle vergossen wird, zur Vergebung der Sünden…“.
Wurde Christi Blut nun „für viele“, wie in der Nitzkydorfer Osterpassion
und sinngleich mit „pro multis“, wie im lateinischen Urtext oder wurde es
„für alle“ vergossen zur Vergebung der Sünden, wie wir es heute sonntäglich
hören? Es scheint selbst hier, gewissermaßen in den allerheiligsten
„Grundwerten“, ein Wandel stattgefunden zu haben, der die Unterscheidung von
Gut und Böse betrifft. Unsere heutige Welt, aus der wir das allgegenwärtige Böse
samt Todsünde und Hölle ausgeblendet haben
und die – vielleicht gerade deshalb – in vielerlei Hinsicht schöner und
behaglicher ist als die damalige, hat einen entscheidenden Makel: Ihre Bilanzen
stimmen nicht, ja, sie scheint insgesamt und dauerhaft nicht bezahlbar, trotz
vielerlei Sinnhaftigkeit im Einzelnen. Unbezahlbarkeit, die ich meine, ist
gewollt und Folge von materiell und sexuell ungezügelter,
selbstsuchtgetriebener Gier. Wenn schon Unterlassung guter Taten böse und sogar
fehlende Rentabilität an sich nicht offensichtlich schlechter Taten
verdammenswert sein kann – man denke an das Gleichnis von den sicher
vergrabenen und deshalb keinen Profit bringenden Talenten –,
um wie viel mehr ist dann diese willentliche Unbezahlbarkeit böse? Gewiss, Bösen
kann vergeben werden, nach Reue, Umkehr und Buße, wobei auch mildernde
Umstände gelten können, wenn man
nicht weiß, was man tut. Über Gut und Böse kann man streiten, muss man sogar.
Auch wir Nitzkydorfer haben gelegentlich darüber gestritten. Über
Unbezahlbarkeit waren wir uns jedoch einig: In Luftschlösser hat man in dem
Nitzkydorf, dem wir angehörten, nicht investiert.
Und wenn ich hier „ wir“ schreibe,
darf ich vielleicht nicht für so
viele Nitzkydorfer sprechen, wie noch vor 1997, als ich
den HOG-Vorsitz und die damit
verbundene Sprecherfunktion aus gesundheitlichen Gründen abgeben musste.
Der Fuchs war immer schon der Jäger? Für uns nicht. Als böser Räuber
unserer guten Hühner war er in Nitzkydorf stets ein Gejagter. Er soll es
bleiben… Wir stehen an einem Grabe. *) Alle Rechte beim Autor Prof. Dr.-Ing. Josef Schmadl. Eine Kurzfassung dieser überarbeiteten Urfassung ist in der Banater Post Nr. 11 vom 5. Juni 2013 unter „Dokumentation“ enthalten. |
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